Die neue Religion der Ideen – Teil 1

Die neue Religion der Ideen – Teil 1

Bisher haben mich meine Reden und Seminare in über 50 Länder geführt. Da zeigt sich eine ziemlich faszinierende Dynamik.

Unlängst kehrte ich aus Sofia in Bulgarien zurück, wo etwa 2.000 Menschen eine nach ihren Verhältnissen ziemlich große Stange Geld dafür bezahlt haben, um an meinem Wohlstands-Seminar teilzunehmen und mich sprechen zu hören. Wenn ich Programme in Moskau durchführe, reisen manche Menschen 30 Stunden im Zug oder sind fünf Tage auf der Straße unterwegs – und sie schlafen oft in ihren Autos – um dabei zu sein. Ich habe eine ganztägige Veranstaltung für 7.000 Menschen in Kiew durchgeführt, und das in einer Sporthalle ohne Klimaanlage, wo die Temperatur auf über 37°C anstieg. Zehn oder zwölf Teilnehmer wurden wegen Hitzschlag mit dem Rettungswagen abgeholt. Doch erst so etwas konnte sie veranlassen, den Raum zu verlassen; alle anderen blieben da. In Ländern wie Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Lettland oder Litauen ist die Situation ähnlich.

Die Bürger von Ländern, in denen freies Unternehmertum jahrzehntelang verboten war oder von den Sozialisten oder Kommunisten unterdrückt wurde, zeigen einen enormen Nachholbedarf an Erfolg, der sich über Jahrzehnte hinweg aufgestaut hat. Das Niveau von Leidenschaft, Intensität und Dringlichkeit, mit dem sie Gelegenheiten beim Schopf packen, ist ganz erstaunlich mit anzusehen.

Bücher – und die Autoren, die sie schreiben – werden an solchen Orten verehrt, und Seminare betrachtet man als lebensverändernde Erlebnisse. In manchen dieser Länder sind die Leute so verrückt danach, ein Foto zu machen oder ein Buch signiert zu bekommen, dass ich sechs Leibwächter brauche, um vom Ausgang hinter der Bühne sicher ins Auto zu gelangen.

Der Hunger, den sie zeigen, ist in den meisten westlichen Ländern heutzutage nicht vorhanden. Bieten Sie ein Erfolgsseminar in London an und Sie werden hören: „Schade, dass es in der Nähe des Flughafens Heathrow ist. Dort ist einfach zu viel Verkehr. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie eines beim Flughafen Gatwick anbieten.“ Leute in Miami finden, die 20 Meilen nach Fort Lauderdale sind ein zu weiter Fahrweg; Leute in Manhattan gehen nicht in den Stadtteil Queens, und die Brooklyner nehmen nicht die Fähre nach Staten Island.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist ein Segen für mich, dass so viele Leute meiner Arbeit im Westen folgen und sie streben leidenschaftlich nach Erfolg und sind bereit, dafür das Nötige zu tun. Doch wenn man Völker als Ganzes betrachtet – diejenigen in den westlichen Staaten im Vergleich zu den früheren Ostblockländern – erkennt man eine große Lücke an Ehrgeiz.

Und sie wird immer breiter … 

Die früheren Ostblockländer (und noch mehr ganz Asien) gehen das freie Unternehmertum mit Eifer an, während der Westen langsam träge wird. Zu viele Menschen im Westen betrachten es als selbstverständlich, was die freien Märkte zu bieten haben.

Ein anderer alarmierender Trend im Westen ist der allmähliche aber stetige Zusammenbruch des Bildungssystems. Statt den Kindern das richtige Denken beizubringen – und ja, das ist tatsächlich eine Fähigkeit, die die jungen Menschen erst erwerben müssen – ist das System dazu verkommen, sie nur auf Tests vorzubereiten. Das Einzige, was die Schüler dadurch lernen, ist, dass sie Sachen auswendig wissen müssen, um über die Runden zu kommen.

Ein Großteil der Lehrpläne, nach denen heutzutage im Westen gelehrt wird, ist in der realen Welt nicht mehr relevant.

Kinder müssen nicht in der Lage sein, aus dem Gedächtnis Fakten und Daten zu rezitieren. Ein achtjähriges Kind mit einem Smartphone (die meisten haben eines) kann solche Informationen innerhalb von Sekunden ausfindig machen. Was Schüler brauchen, ist eine Ausbildung, die ihnen hilft, kritisches Denken zu entwickeln, damit sie gut auf die reale Welt vorbereitet sind, wenn sie aufwachsen.

Zu dem Problem trägt auf höherer Ebene bei, dass das Modell der Universitäten überhaupt nicht mehr zeitgemäß ist. Physikalisch ist das Modell auf Büchern, Klassenzimmern und ausgedehnten Campusgeländen aus Ziegeln und Mörtel aufgebaut, und finanziell beruht es auf der Ausbeutung von Sportlern, der Jagd nach Schenkungen und der Forderung an die Studenten, sich in unerhörte Schulden zu stürzen, um ein anerkanntes Diplom zu erlangen.

Wenn die Universitäten sich weiterhin auf diese Dinge konzentrieren, beschleunigen sie ihre Irrelevanz.

Einen großen Beitrag dazu leistet die Wirtschaft. Universitäten bemühen sich um Schenkungen und hetzen jedem Bargeld nach, dessen größte Quelle die Studenten selbst sind, die ihre Zukunft auf riesige Studiendarlehen setzen. Die heutige Verschuldung des durchschnittlichen Hochschulabsolventen ist irrational. Und immer mehr von ihnen stellen fest, dass die Wette, die sie im Glauben daran eigegangen sind, dass ihnen ihr Diplom einen guten Arbeitsplatz einbringen wird, nicht aufgeht.

Natürlich werden Universitäten in unserer Gesellschaft immer einen Platz haben. Wenn Sie eine abgerundete Ausbildung in Fremdsprachen, Geisteswissenschaften, den Künsten und der Philosophie haben wollen, wird die Universität wahrscheinlich nach wie vor der beste Ort dafür bleiben. Doch was eine Universität sein wird und wie sie als Institution betrieben wird, wird sich drastisch ändern müssen.

Es ist nicht mehr realistisch, die Vorstellung zu vertreten, dass man große Darlehen in der Hoffnung auf zukünftige Einkommen aufnehmen solle, um einen generalisierten Abschluss zu erhalten, von dem man annimmt, dass er zu einem Arbeitsverhältnis führen wird.

Das beschleunigte Tempo der Veränderungen macht es immer schwerer, Hochschullehrpläne relevant zu gestalten. Und zu viele Professoren kennen das, was sie im Vakuum der Akademie lehren, nicht aus eigener Erfahrung in der wirklichen Welt. In sehr naher Zukunft wird ein Diplomand oder Doktor von einer prestigeträchtigen Universität recht traurig neben jemandem aussehen, der ein Zertifikat nach einem soliden sechsmonatigen Online-Training in einem Spezialfach wie Programmieren von Videospielen, Entwurf von mobilen Apps oder Reparatur von Raumschiffmotoren vorweisen kann.

Und was glauben Sie, wie werden kluge Unternehmer wie Mark Cuban, Richard Branson oder Mark Zuckerberg Schulabschlüsse und Stammbäume versus praktischer Erfahrung oder Relevanz beurteilen, wenn sie jemanden für ihre eigenen Gesellschaften einstellen? Nun, das Weblog von Cuban, Blog Maverick, gibt Ihnen diesen Einblick:

„Als Arbeitgeber will ich die am besten vorbereiteten und qualifizierten Arbeitnehmer haben. Mir ist es völlig egal, ob die Quelle, aus der sie ihr Wissen bezogen haben, von einer Gruppe alter Männer und Frauen akkreditiert worden ist, die glauben zu wissen, was das Beste für die Welt ist. Ich will Leute, die ihre Arbeit tun können. Ich will die Besten und die Klügsten. Nicht irgendein Stück Papier.“

Bildung wird sich genauso entwickeln wie die Welt des Unternehmertums; diejenigen, die anders denken als die Masse, werden großartige Möglichkeiten finden – und bieten. Die High Point University in North Carolina hat ihre Immatrikulationszahlen verdreifacht, weil sie nun wagemutig einige dieser relevanten Themen anpackt: Die Studenten sowohl auf eine Zukunft voller Erfolg als auch Signifikanz vorzubereiten, über die Lehre hinaus eine ganzheitliche Bildung zu vermitteln, einen Lehrplan mit Betonung auf erlebnisbasiertem Lernen zu bieten und den Fokus auf ein wertorientiertes Leben zu richten.

Die HPU hat keine Mühe gescheut, um in einer sich schnell verändernden Welt relevant zu bleiben. Dazu gehörten Dinge wie die Hinzufügung von Hauptfächern wie etwa Interaktives Gaming, den Studenten durch Berufspraktika Erfahrung zu vermitteln, Studienmöglichkeiten in 25 Ländern anzubieten, Erlebnisse außerhalb des Campus an Orten wie den Börsen zu organisieren, um Praxisbezug einzubringen, und Vordenker wie Malcolm Gladwell einzuladen, um zu den Studenten zu sprechen.

Es ist kein Zufall, dass diese Renaissance an der HPU unter der Leitung von Dr. Nido Qubein stattfindet, der 2005 den Vorsitz übernommen hat. Nido kommt aus der wirklichen Geschäftswelt. Er kam 1966 mit $50 in der Tasche in die USA und erlangte außerordentlichen Erfolg als Unternehmer. 1986 half er beim Aufbau einer Bank mit und heute sitzt er im Aufsichtsrat von BB&T, einem der 500 größten Finanzkonzerne der USA mit $175 Milliarden Vermögen und 35.000 Angestellten. Nido ist auch der Vorstandsvorsitzende der Great Harvest Bread Company, einer Bäckerei mit 218 Ladengeschäften, die über die ganzen USA verteilt sind. Er dient auch in den Vorständen der La-Z-Boy Corporation und der Modekette Dots Stores.

Nido hat bei einem Gespräch, das ich mit ihm führte, die Probleme zugegeben, denen das Bildungswesen gegenüber steht; gleichzeitig war er jedoch begeistert zu erzählen, wie High Point diese Herausforderungen anpackt. Er sagte:

„Die Anzahl der Institute wird abnehmen und die Nachfrage dürfte tatsächlich sinken. Transformative Akademien wie die HPU werden Erfolg haben, während die transaktionellen, die nur in der Vergangenheit leben, leiden dürften. Die wirkliche Chance für Wachstum liegt darin, die Hochschulausbildung für die große Masse erschwinglich und zugänglich zu machen (also für diejenigen, die diese Ausbildung sonst nicht aufgenommen hätten). Daher florieren jetzt Online-Lehrgänge und ähnliches.“

„Den Universitäten der Ivy League wird es trotz alledem gut gehen, die High-Point-Universitäten (von denen es nur sehr wenige gibt – wir sind in mancher Hinsicht geradezu einzigartig) werden wachsen, weil sie wendig sind und auf Neuerungen eingehen, Werte vermitteln und diese Werte auf Weisen interpretieren, die zu produktiven Ergebnissen führen. Auf die kleineren Schulen jedoch, die in einem Ozean der Gleichartigkeit ertrinken, kommen wohl tatsächlich schwere (wenn nicht gar katastrophale) Zeiten zu.

Doch auch vorwärtsgerichtet denkende Institutionen wie High Point werden vieles von dem, was sie tun, neu organisieren müssen. Auf ihrer Website finden sich viele stolze Aussagen über die enorme Zunahme von Gebäuden und Nutzflächen auf dem Campus. Wie diese Arten von Investitionen sich in der digitalen Welt bezahlt machen sollen, bleibt noch abzuwarten. Wir können gewiss mit Sicherheit davon ausgehen, dass mindestens eines jener Gebäude eine Bücherei ist, in der zum Beispiel Wörterbücher aufbewahrt werden. Das Durchschnittskind von heute weiß wohl kaum noch, was ein Wörterbuch überhaupt ist, und es wird auch nie wissen müssen, wie man so etwas nutzt.

Eines wissen wir mit Sicherheit: Um in der neuen Wirtschaft erfolgreich zu sein, werden die Studenten selbst viel mehr Verantwortung für ihre eigene Bildung übernehmen müssen. Sie werden weniger auf Diplome achten müssen, sondern mehr auf praktische Anwendungen.

Länder wie Indien, Japan, Korea und einige andere asiatische Länder konzentrieren sich wieder verstärkt auf Bildung. Sie produzieren Unmengen von Hochschulabsolventen wie vom Fließband, und diese Leute sich hoch geschult auf sehr relevanten Fachgebieten wie etwa Programmieren, Computerspiele, Biotechnologie, Umwelttechnik und Unternehmertum (gelehrt von echten Unternehmern). Die Universitäten im Westen werden mehr so denken müssen wie die High Point, um wieder relevant zu werden.

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Kommentare (5)

  1. Guten Abend. Mir hat der Beitrag wirklich sehr gut gefallen, da ich Parallelen zu meiner Familie finde. Wir haben immer versucht unsere Kinder zu selbstständigen Erwachsenen zu erziehen. Das ist uns auch sehr gut gelungen, es passiert häufig, dass einer unserer Kinder feststellt, dass sie oft ganz anders denken, als viele Gleichaltrige oder Kollegen. Ich finde wichtig die Kinder ihren Neigungen und Interessen zu fördern, außerdem sollen sie wissen, dass sie immer auch " NEIN" sagen dürfen.
  2. Dieser Artikel trifft es voll und ganz. Heute braucht man eine Hochschulabschluss, um in der Reinigung zu arbeiten. Ohne Magister, am besten doppelter Doktor, braucht man sich gar nicht bewerben. Fast keine Unternehmen schauen auf die Qualifikationen Doch die wirklich erfolgreichen Unternehmer sind teils sogar Schulabbrecher. Sie wirtschaften dann viel profitabler, da Praxis wichtig ist sowie die Förderung der einzelnen Mitarbeiter hinsichtlich Ihrer Stärken. Die alles gratis -Mentalität von Schulen und Unis bei zeigt ihre Auswirkungen. Die Politik sagt, wo es langgeht, alles wird beschönigt. Engagierte Lehrer haben es extrem schwer, wenn sie das Potential des einzelnen fördern. In Österreich wurden pensionierte Lehrer und in Ausbildung befindliche als Lehrer eingesetzt, weil sich das natürlich keiner mehr antut. Offiziell gibt es laut Regierung keinen Lehrermangel. da ja alle Posten besetzt sind. Private Initiativen sind da ein wichtiger Richtungswechsel. Christine Richter
  3. Das Buch ist große Klasse und ich kann es allen Menschen empfehlen, die auch nur einen Hauch von Ahnung einatmen wollen, wie die Zukunft sich in vielerlei Hinsicht entwickelt! Randy Gage ist da auch ziemlich rigeros in seinem Anspruch an Disziplin und andere Werte! Nicht ganz leicht zu schlucken, seine Kost. Aber Medizin ist halt oft bitter wenn sie helfen soll. Trotzdem nachhaltig beeindruckend und daher bitte weiter empfehlen, wenn gelesen!

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